"Drittes Geschlecht": Verwaltungsgerichte weisen Innenminister in die Schranken
Das Verwaltungsgericht Wien hat heute einer nicht-binären Person recht gegeben und die Streichung ihres Geschlechtseintrags aus dem Personenstandsregister angeordnet. Eine Streichung, die der Innenminister den Standesämtern verbietet, wenn keine körperliche Intergeschlechtlichkeit vorliegt.
Die beschwerdeführende Person, Pepper Gray, hat eine nicht-binäre Geschlechtsidentität, identifiziert sich weder als männlich noch als weiblich und auch mit keiner anderen bestimmten Geschlechtsbezeichnung. Pepper Gray beantragte daher am Standesamt die Streichung des Geschlechtseintrags im Personenstandsregister. Das Standesamt musste sich an das Verbot des Innenministers halten und hat den Antrag abgelehnt. Das Verwaltungsgericht hat der dagegen erhobenen Beschwerde (www.genderklage.at) stattgegeben, den Bescheid des Standesamtes in der heutigen mündlichen Verhandlung aufgehoben und die Streichung des Geschlechtseintrags angeordnet.
Geschlechtsidentität maßgebend
Bereits 2018 hat der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen, dass der Staat nicht verpflichtet ist, das Geschlecht zu registrieren. Wenn er das möchte, darf er es, muss die Registrierung jedoch anhand der individuellen Geschlechtsidentität vornehmen, nicht auf Grund körperlicher Geschlechtsmerkmale. Niemand muss fremdbestimmte Geschlechtszuweisungen akzeptieren, weshalb im Personenstandsregister (und damit auch in Urkunden und Ausweisen) nicht männliche oder weibliche (nicht-binäre) Geschlechtsidentitäten als solche zu beurkunden oder der Geschlechtseintrag auf Antrag zu streichen ist. Für die Beurkundung einer nicht-binären Geschlechtsidentität erklärt der Verfassungsgerichtshof alle selbstbestimmten Bezeichnungen für zulässig, die einen Bezug zur Realität haben und nicht frei erfunden sind (VfGH 15.06.2018, G 77/2018).
Der damalige Innenminister Herbert Kickl hat die Standesämter daraufhin mit Erlass angewiesen, andere Geschlechtseinträge als männlich und weiblich sowie die Streichung des Geschlechteintrags nur dann vorzunehmen, wenn eine Person körperlich intergeschlechtlich ist. Ausserdem verbot er andere Bezeichnungen als "divers" für nicht-binäre Geschlechtsidentitäten. Dieser Erlass ist von den Nachfolgern Kickls, Nehammer und Karner, übernommen worden und bis heute in Kraft. Lediglich "inter" wurde als zweite Bezeichnung für nicht-binäre Geschlechtsidentitäten zugelassen. Aber auch das erst nach einem Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Oberösterreich und einer (wegen der Weigerung des Innenministers, der Anordnung des Verwaltungsgerichts nachzukommen, erstatteten) Strafanzeige wegen Amtsmissbrauchs.
Kickl-Erlass rechtswidrig
Der Erlass bindet, als generelle Weisung, freilich nur die Standesämter, nicht aber die Gerichte. Das Verwaltungsgericht Wien hat in diesem Sinne heute ausgesprochen, dass ein Abstellen auf das körperliche Geschlecht, wie es der Innenminister in seinem Erlass tut, nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs ausgeschlossen und der Geschlechtseintrag von Personen mit nicht-binärer Geschlechtsidentität auf deren Antrag zu streichen ist (VG Wien 22.03.2023 VGW-101/V/020/14327/2022).
Bereits in vier früheren Erkenntnissen erklärten das Landesverwaltungsgericht Steiermark (LVwG Stmk 20.12.2021 LVwG 41.8-1712/2021) und das Verwaltungsgericht Wien (bspw. VG Wien 26.01.2023 VGW-101/V/032/11370/2022; VG Wien 20.02.2023) den Erlass des Innenministers wegen der Beschränkung der dritten Geschlechtsoption auf körperlich intergeschlechtliche Personen für rechtswidrig, ließen entgegen dem Erlaß auch "nicht-binär" als Geschlechtseintrag zu (VG Wien) und die bloße Willenserklärung der antragstellenden Person genügen (VG Wien 20.02.2023 ).
"Nach zwei Jahren Verfahrensdauer gibt es endlich ein Urteil", freut sich Pepper GRAY und gibt zu bedenken, "bis zu neuen Dokumenten kann es aber leider durchaus nochmal so lang dauern, wenn der Innenminister das Urteil beim Verwaltungsgerichtshof bekämpfen sollte". "Heute ist ein guter Tag für die Menschenrechte", ergänzt Dr. Helmut GRAUPNER, Präsident des Rechtskomitees LAMBDA (RKL) und Anwalt von Pepper GRAY, "Die Verwaltungsgerichte kommen ihrer verfassungsgemäßen Aufgabe nach und weisen die drei Innenminister mit ihren grund- und menschenrechtswidrigen Verboten in die Schranken".