Wahlfakten: das machten die Parteien wirklich
Nationalratswahl 2024
Für die Entscheidung am 29. September mag es nicht nur interessieren, was die Parteien für die Zukunft versprechen (siehe dazu unser großes Wahlspecial) sondern auch, wie sie sich im Parlament (Nationalrat) bisher tatsächlich verhalten haben.
Totalverbot homosexueller Kontakte (Frauen und Männer) (1-5 Jahre schwerer Kerker): SPÖ und FPÖ setzten sich für die Entkriminalisierung ein, was die ÖVP jahrzehntelang verhindert hatte. Die ÖVP-Alleinregierung (1966-1970) lehnte die Straffreiheit dezidiert ab, mit der ausdrücklichen Begründung, dass die Juristen gegen die Aufhebung seien, die Ärzte dafür, diese es aber nicht geschafft hätten, Homosexuelle von ihrer Veranlagung zu heilen. Deshalb sei den Juristen zu folgen und homo- und bisexuelle Frauen und Männer weiterhin einzusperren. Erst 1970 – nach dem Wahlsieg Kreiskys - vermochten es SPÖ und FPÖ, die Aufhebung durchzusetzen. Homosexuelle Kontakte wurden aber nicht, wie in anderen Ländern, strafrechtlich gleichbehandelt sondern das Totalverbot durch vier neue Sonderstrafgesetze ersetzt.
Verbot männlich-homosexueller Prostitution (§ 210 StGB): 1989 als Maßnahme zur Aids-Bekämpfung, auf Empfehlung aller neun Landessanitätsdirektoren, von SPÖ, ÖVP, FPÖ und Grünen aufgehoben, jedoch stimmten vier vorarlbergische ÖVP-Abgeordnete dagegen.
Verbot von Vereinigungen zur „Begünstigung gleichgeschlechtlicher Unzucht“ (§ 221 StGB): 1996 stimmten SPÖ, FPÖ, Grüne und LIF für die Aufhebung. Die ÖVP dagegen.
Verbot der öffentlichen Gutheißung von „Unzucht mit Personen des gleichen Geschlechts“ (§ 220 StGB): 1996 stimmten SPÖ, Grüne und LIF für die Aufhebung, ÖVP und FPÖ dagegen. Da nicht alle FPÖ-Abgeordnete bei der Abstimmung im Saal waren und der ehemalige FPÖ-Justizminister Harald Ofner für die Aufhebung votierte, fiel das Verbot mit einer Stimme Mehrheit (90:89).
Sondermindestalter 18 Jahre für schwule Beziehungen (zusätzlich zur allgemeinen Grenze von 14 Jahren) (§ 209 StGB): 1996 stimmten SPÖ, Grüne und LIF für die Aufhebung. ÖVP und FPÖ verhinderten sie. Von jeder der beiden Parteien stimmte jeweils nur ein einziger Abgeordneter für die Aufhebung (der spätere ÖVP-Staatssekretär Franz Morak und der ehemalige FPÖ-Justizminister Harald Ofner), weshalb die Abstimmung exakt 91:91 ausgegangen ist. Denn alle anderen ÖVP-Mandatare, die zuvor zugesagt hatten, für die Aufhebung zu stimmen oder sich zumindest zu enthalten, (wie beispielsweise Werner Amon, Gertrude Brinek und Riedi Steibl) vortierten (auf Geheiß des damaligen ÖVP-Klubobmanns Andreas Khol) geschlossen dagegen. 2002 hat dann der Verfassungsgerichtshof § 209 aufgehoben. ÖVP und FPÖ führten daraufhin, gegen die Stimmen von SPÖ und Grünen, eine (geschlechtsneutrale) Ersatzbestimmung (§ 207b StGB) ein.
Diskriminierungsschutz: 2004 setzten ÖVP und FPÖ, gegen SPÖ und Grüne, durch, dass nur das verpflichtende Minimum der Anti-Diskriminierungsrichtlinie der EU umgesetzt wurde (am Arbeitsplatz). Seither haben alle neun Bundesländer (in ihren Zuständigkeitsbereichen) Diskriminierung auf Grund sexueller Orientierung auch außerhalb des Arbeitsplatzes verboten. Auf Bundesebene haben das ÖVP und FPÖ jahrelang erfolgreich verhindert, sodass beispielsweise Hotels Personen Zimmer verweigern, Wirte sie aus dem Lokal werfen und Taxifahrer Personen aus dem Auto werfen dürfen, von denen sie glauben, dass sie homo- oder bisexuell sind.
Zuletzt hat auch die FPÖ für Anträge auf eine Entschließung des Nationalrats gestimmt, mit der die Bundesregierung aufgefordert worden wäre, Diskriminierungen außerhalb des Arbeitsplatzes auch auf Grund sexueller Orientierung und des Alters zu verbieten (einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzulegen). ÖVP und Grüne brachten diese Anträge jedoch zu Fall.
2020 haben die offen lesbischen und schwulen Abgeordneten der ÖVP (anders als jene der SPÖ, der Grünen und der NEOS (die FPÖ hat keine) sich einer Initiative des Rechtskomitees LAMBDA (RKL) für ein überparteiliches Vorgehen zur Beseitigung der immer noch bestehenden Schutzlosigkeit von homo- und bisexuellen Menschen gegen Diskriminierung außerhalb des Arbeitsplatzes verweigert.
Rehabilitierung der Opfer der Sonderstrafgesetze: 2013 verurteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Österreich, weil die Verurteilungen nach den homophoben Sonderstrafgesetzen nicht aus dem Strafregister gelöscht worden waren (E.B. et al v A). Zwei Jahre lang (!) verhinderte die ÖVP die Umsetzung dieses Urteils. Erst 2015 wurde die Löschung der Vorstrafen beschlossen. Die Aufhebung der Urteile, eine Bedauernserklärung (wie vom deutschen Bundestag bereits 2000 einstimmig abgegeben) und eine Entschädigung (wie in Deutschland 2017 beschlossen) haben ÖVP und FPÖ im Nationalrat jahrelang hartnäckig verweigert.
2021 hat sich die grüne Justizministerin Alma Zadic (nicht der Gesetzgeber, das Parlament, wie das in Deutschland der Fall war) für die homophoben Sonderstrafgesetze entschuldigt.
2023 verabschiedete die Koalition aus Grünen und ÖVP ein Gesetz, mit dem die in der 2. Republik erfolgten Verurteilungen nach den homophoben Sonderstrafgesetzen aufgehoben und sowohl für Verurteilte als auch für alle nach diesen Sondergesetzen in Strafverfahren gezogenen Personen, eine kleine symbolische Entschädigung vorgesehen wurde. Österreich ist erst das zweite Land weltweit (nach Deutschland), dass die Opfer homophober Sonderstrafverfolgung entschädigt hat.
Eingetragene Partnerschaft: Nach einer Ladung vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat die ÖVP, nach jahrelangem Hinhalten, der SPÖ nachgegeben und mit ihr eine EP eingeführt, es dabei jedoch zur Bedingung gemacht, dass diese EP mit rund 70 boshaften Diskriminierungen gespickt wurde (darunter das Standesamtsverbot, das Familiennamensverbot, das Bindestrichverbot bei Doppelnamen und der Amtsraumzwang). Die FPÖ lehnte die EP ganz grundsätzlich und rundweg ab (und hat das in der Folge sogar in ihr Parteiprogramm aufgenommen). Das BZÖ hatte die Abstimmung freigegeben und mehrheitlich dagegen gestimmt. Die Grünen protestierten gegen die zahlreichen Diskriminierungen symbolisch dadurch, dass sie mehrheitlich gegen das Gesetz stimmten.
Stiefkindadoption: Nach der Verurteilung Österreichs durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat die ÖVP ihren Widerstand aufgegeben und mit SPÖ, Grünen und Team Stronach (TS) die Stiefkindadoption ermöglicht; gegen die Stimmen von FPÖ und BZÖ, die die Umsetzung des Urteils des Menschenrechtsgerichthofs verweigern wollten.
Künstliche Befruchtung (Samenspende) für lesbische Paare & automatische Elternschaft: 2013 hat der Verfassungsgerichtshof das Verbot der künstlichen Befruchtung bei Frauenpaaren aufgehoben. SPÖ und ÖVP haben daraufhin 2015 die automatische Elternschaft (analog zur Vaterschaftsvermutung des Ehemannes) und das Mutterschaftsanerkenntnis (analog zum Vaterschaftsanerkenntnis) für solche Kinder eingeführt. Die Grünen und die NEOS stimmten dafür, die FPÖ und vier ÖVP-Abgeordnete dagegen.
Gemeinsame Adoption: 2014 hat der Verfassungsgerichtshof das Verbot der Adoption durch gleichgeschlechtliche Paare aufgehoben. Seit 1. Jänner 2016 dürfen daher gleichgeschlechtliche Paare, trotz der jahrelangen hartnäckigen politischen Blockade von ÖVP und FPÖ - genauso wie verschiedengeschlechtliche Paare - Kinder adoptieren.
Zivilehe: ÖVP und FPÖ hatten die Aufhebung des Eheverbots bis zuletzt verhindert. Obwohl Österreich das einzige Land der Welt war, das gleichgeschlechtlichen Paaren die gleichen Rechte gewährte, eine Familie zu gründen, die Eltern dieser Kinder aber nicht heiraten ließ. Und obwohl seit 2015 mit „Ehe Gleich!“ die erfolgreichste (ohne Unterstützung eines Massenmediums durchgeführte) Bürgerinitiative in der Geschichte Österreichs im Parlament lag, die über 60.000 Wähler:innen unterstützen. 2017 hat der Verfassungsgerichtshof das Eheverbot aufgehoben. Seit 1. Jänner 2019 dürfen daher gleichgeschlechtliche Paare, trotz der jahrelangen hartnäckigen politischen Blockade von ÖVP und FPÖ - genauso wie verschiedengeschlechtliche Paare - heiraten. Während die ÖVP das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs akzeptierte, versuchte die FPÖ, dessen Urteil zu hintertreiben und das Eheverbot in die österreichische Bundesverfassung zu schreiben.
„Drittes Geschlecht“: Nachdem der Verfassungsgerichtshof 2018 das Menschenrecht intergeschlechtlicher Menschen auf einen wahrheitsgemäßen Geschlechtseintrag anerkannt hat, hat der damalige Innenminister und jetzige FPÖ-Parteiobmann Herbert Kickl die Standesämter mit einem Erlass angewiesen, diesen wahrheitsgemäßen (dritten) Geschlechtseintrag nur nach Begutachtung durch sogenannte VdG-Boards zu gewähren, die es aber nie gab. Erst in der grün-türkisen Regierung hat Innenminister Nehammer, auf Drängen der Grünen, diese offene Rechtsverweigerung in Missachtung des Verfassungsgerichtshofs, beendet. Belassen haben die ÖVP-Innenminister jedoch bis heute die Anweisung, die dritte Geschlechtsoption nur körperlich intergeschlechtlichen Personen zuzugestehen (deren Genitalien also weder männlich noch weiblich sind), womit der Zustand der Genitalien dieser Personen zwangsgeoutet wird. Gerichte haben auch diese Einschränkung bereits als (grund)rechtswidrig erkannt. Die ÖVP-Innenminister halten dennoch nach wie vor daran fest.
Blutspendeverbot: 2022 hat der grüne Gesundheitsminister Johannes Rauch das Blutspendeverbot für Männer aufgehoben, die Sex mit Männern haben (MSM). Obwohl er als Gesundheitsminister alleine zuständig ist, die betreffende Blutspendeverordnung zu ändern, war er (wie seine grünen Vorgänger als Gesundheitsminister: Anschober und Mückstein) dazu erst bereit als die ÖVP zustimmte (nachdem im Kabinett der ÖVP-Jugendstaatsekretärin Claudia Plakolm ein Mitarbeiter aus diesem Grund nicht zum Blutspenden zugelassen wurde).
Intergeschlechtliche Genitalverstümmelung (IGM): Obwohl der Verfassungsgerichtshof bereits 2018 festhielt, dass solche Praktiken rechtswidrig sind, gibt es in Österreich bis heute kein ausdrückliches gesetzliches Verbot von geschlechtsfestlegenden Behandlungen (Operationen) (ohne Vorliegen einer medizinischen Indikation) bei intergeschlechtlichen Menschen vor Vollendung des 14. Lebensjahres (IGM: Inter Genital Mutilation). Auch in der Koalition mit den Grünen hat die ÖVP ein solches Verbot hartnäckig verhindert.
Konversions(Umpolungs)Therapien: In der Koalitionsregierung mit den Grünen wäre die ÖVP zuletzt bereit gewesen, solche gefährlichen „Heilungsversuche“ von homo- und bisexuellen Minderjährigen endlich zu verbieten. Ebenso gefährliche und untaugliche „Heilungsversuche“ von Transpersonen will sie aber weiter unbedingt erlaubt lassen (ja sie fordert umgekehrt in ihrem Wahlprogramm 2024 sogar ein Verbot von reversiblen Hormonbehandlungen bei unter 18jährigen Transpersonen). Da die Grünen darauf bestanden, nur beides oder nichts zu verbieten, gibt es nach wie vor kein Verbot von Umpolungstherapien, weder bei sexueller Orientierung noch bei Geschlechtsidentität, nicht einmal bei Minderjährigen.