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Verfassungsgerichtshof ebnet Weg für drittes Geschlecht

Verfassungsgerichtshof ebnet Weg für drittes Geschlecht

Auch Unzulässigkeit geschlechtszuordnender medizinischer Eingriffe bei Kindern klargestellt 

Mit seinem heute zugestellten Beschluss vom 14. März 2018 hat der Verfassungsgerichtshof das Verfahren zur Aufhebung der staatlichen Registrierung des Geschlechts eingeleitet (E 2918/2016). Eine intergeschlechtliche Person, die weder männlich noch weiblich ist, hatte am Standesamt Steyr beantragt, ihren Geschlechtseintrag im Geburtenregister auf "inter", "anders", "X" oder eine ähnliche Bezeichnung zu berichtigen. Nach Ablehnungen durch das Standesamt und das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat der Verfassungsgerichtshof der intergeschlechtlichen Person nun vorläufig recht gegeben. Das Rechtskomitee LAMBDA (RKL), Österreichs Bürgerrechtsorganisation für homo- und bisexuelle sowie transidente und intergeschlechtliche Menschen, bezeichnet den Fall als wegweisend für die Rechte intergeschlechtlicher Menschen.

Mit seiner Entscheidung folgt der Verfassungsgerichtshof dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), der bereits 2003 ausgesprochen hat, dass die selbstbestimmte Wahl der Geschlechtsidentität ein fundamentales Menschenrecht ist (van Kück v Deutschland). Die 14 Verfassungsrichterinnen und -richter halten fest, dass die geschlechtliche Identität und Selbstbestimmung zu einem der intimsten Bereiche des Privatlebens gehören und die Registrierung des Geschlechts im staatlichen Geburtenregister (und die damit verbundene Ausweisung dieses Geschlechts in staatlichen Urkunden und Ausweisen) somit auch identitätsstiftend wirkt (Rz 28, 37).

Der Verfasungsgerichtshof geht daher davon aus, dass Menschen nur jene Geschlechtszuschreibungen durch staatliche Regelungen akzeptieren müssen, die ihrer Geschlechtsidentität entsprechen (Rz 29). Der Staat muss die individuelle Entscheidung für oder gegen ein bestimmtes Geschlecht akzeptieren (Rz 29, 33). Die Verfassung schütze den Einzelnen vor fremdbestimmter Geschlechtszuweisung, wobei dies in besonderem Maße für Menschen mit alternativer Geschlechtsidentität gilt (Rz 29). Insbesondere intergeschlechtliche Menschen stellen auf Grund ihrer geringen Zahl und ihres - aus der Perspektive der Mehrheit- "Andersseins" eine besonders verwundbare (vulnerable) Gruppe dar (Rz 31).

Der Staat sei, so der Verfassungsgerichtshof, nicht verpflichtet, das Geschlecht zu registrieren, die Verfassung verbiete diese staatliche Registrierung aber auch nicht (Rz 36, 38). Wenn der Staat sich für eine Registrierung des Geschlechts entscheidet, macht er damit einen zentralen und intimen Aspekt des privaten Lebens öffentlich sichtbar und muss daher sicherstellen, dass die Geschlechtseinträge die jeweilige indivuelle Geschlechtsidentität reflektieren und es auch ermöglichen, den Geschlechtseintrag, insbesondere bei Kindern, bis zu einer selbstbestimmten Zuordnung offen zu lassen (Rz 31f).

Nach der vorläufigen Einschätzung des Verfassungsgerichtshofs beschränken die geltenden gesetzlichen Bestimmungen die Geschlechtseinträge im Geburtenregister starr binär auf männlich und weiblich und ermöglichen es nicht, die selbstbestimmte Geschlechtsidentität adäquat zum Ausdruck zu bringen und fehlen Vorkehrungen dafür, dass eine solche sebstbestimmte Zuordnung insbesondere auch Kindern effektiv möglich ist, weshalb sie aufzuheben sein dürften (Rz 39). Zugleich stellt der Verrfassungsgerichtshof klar, dass ein verfassungsgesetzlicher Anspruch selbstredend nur auf solche Geschlechtsangaben besteht, die einen realen Bezugspunkt im sozialen Leben haben und nicht frei erfunden sind (Rz 39).

Schließlich weist der Verfassungsgerichtshof unmissverständlich darauf hin, dass geschlechtszuordnende medizinische Eingriffe im Neugeborenen- oder Kindesalter möglichst zu unterlassen sind und nur ausnahmsweise bei hinreichender medizinischer Indikation gerechtfertigt sein können (Rz 26). Die Angst der Familien vor Stigmatisierung indiziert, so die Verfassungsgsrichterinnen und -richter eindeutig und in Übereinstimmung mit der Bioethikkomission, keinesfalls Eingriffe in die geschlechtliche Entwicklung (Rz 26).  


Alex Jürgen

Alex Jürgen wurde als intergeschlechtlicher Mensch geboren. Intergeschlechtliche Personen sind Menschen, die hinsichtlich ihres chromosomalen, gonadalen oder anatomischen Geschlechts von der medizinischen Normvorstellung „männlicher“ und „weiblicher“ Körper abweichen. Sie sind weder männlich noch weiblich. Dies kann sich im Aussehen der äußeren Geschlechtsmerkmale, der Körperbehaarung, der hormonellen und/oder chromosomalen Zusammensetzung der jeweiligen Menschen zeigen. Nicht alle werden bei der Geburt als intergeschlechtlich identifiziert, bei manchen geschieht das im Kindes- oder Jugendalter, bei manchen als Erwachsene oder (selten) auch gar nicht (Deutscher Ethikrat 2012, 24-26; 52-54).

Die physischen Geschlechtsmerkmale von Alex Jürgen waren uneindeutig und entsprachen bereits zum Zeitpunkt der Geburt weder dem männlichen noch weiblichen Geschlecht. Zunächst ordneten die behandelnden Ärzte Alex Jürgen als männlich ein, ein entsprechender Eintrag im Geburtenbuch wurde veranlasst.

Nach zahlreichen Untersuchungen rieten Mediziner den Eltern, Alex Jürgen aufgrund der geschlechtlichen Ambivalenzen als Mädchen zu erziehen. Im Laufe der folgenden Jahre wurden die ambivalenten körperlichen Geschlechtsmerkmale zum Teil entfernt, um Alex Jürgens Körper optisch dem eines  Mädchens anzupassen. Doch das konstruierte Geschlecht entsprach nicht Alex Jürgens Identifikation.


Gefahr bloßstellender und erniedrigender Situationen

Da Alex Jürgen keine Frau ist und sich nicht als Frau fühlt, ließ sich Alex Jürgen vor Jahren die durch künstliche Hormongaben entwickelte Brust entfernen. Alex Jürgen ist aber auch kein Mann, sondern war von Geburt an ein intergeschlechtlicher Mensch, als welcher sich Alex Jürgen auch seit jeher identifiziert. Seit nun bereits mehr als 10 Jahren lebt Alex Jürgen offen als intergeschlechtliche Person.

Nach der Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) ist die selbstbestimmte Wahl der Geschlechtsidentität ein fundamentales Menschenrecht, und die eigene Geschlechtszuordnung gehört zum intimsten Bereich der Persönlichkeit eines Menschen, der prinzipiell staatlichem Zugriff entzogen ist. Alex Jürgen im Personenstandregister (und damit auch in Geburtssurkunden etc.) als männlich oder weiblich auszuweisen, verletzt überdies das Grundrecht auf Datenwahrheit (§ 1 DSG) und stellt eine unrichtige Beurkundung im Amt dar.

Zudem läuft Alex Jürgen bei Verwendung von Urkunden mit dem unrichtigen Eintrag „männlich“ oder „weiblich“ Gefahr, in unangenehme und bloßstellende erniedrigende Situationen sowie in den Verdacht der Verwendung fremder Urkunden/Ausweise oder der Urkundenfälschung zu geraten, beispielsweise bei Leibesvisitationen oder Nacktscannern, wenn sich herausstellt, dass Alex Jürgen nicht über dem eingetragenen Geschlecht „männlich“ (oder „weiblich“) entsprechende äussere Genitalien verfügt und in den Verdacht gerät, nicht die Person zu sein, für die die Urkunde oder der Ausweis ausgestellt worden ist.


Europarat, Bioethikkommission und Volksanwaltschaft empfehlen Anerkennung eines dritten Geschlechts

2015 hat der Menschenrechtskommissar des Europarates in einem Bericht über die Lage intergeschlechtlicher Personen dazu aufgerufen, bei der Ausstellung von Personenstandsurkunden und Ausweisen die geschlechtliche Selbstbestimmung intergeschlechtlicher Menschen zu respektieren, ihnen insbesondere zu ermöglichen, einen Geschlechtseintrag jenseits von bloß „männlich“ oder „weiblich“ zu wählen (Commissioner for Human Rights, Council of Europe: Human Rights and Intersex People, Issue Paper, Strasbourg 2015, p. 9 Recommendation 4). Und auch die Parlamentarische Versammlung des Europarates hat die Mitgliedstaaten dazu aufgerufen, die Ermöglichung einer dritten Geschlechtsoption für jene zu erwägen, die eine solche wünschen (Resolution 2048 „Discrimination against transgender people in Europe“, 22.04.2015, par. 6.2.1.). 2017 haben sich sowohl die österreichische Bioethikkomission (einstimmig) sowie die Volksanwaltschaft dieser Forderung angeschlossen.  

Alex Jürgen hat 2016 am Standesamt beantragt, den Geschlechtseintrag im Personenstandsregister auf "inter", "anders", "X" oder eine ähnliche Bezeichnung zu berichtigen. Das Standesamt Steyr hat die Berichtigung im Geburtenbuch abgelehnt, und das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich diese Entscheidung bestätigt.

Der Verfassungsgerichtshof hat Alex Jürgen jetzt vorläufig recht gegeben und die Bundesregierung zur Äußerung innerhalb weniger Wochen aufgefordert. Die Endentscheidung in den von RKL-Präsident Dr. Helmut Graupner vertretenen und auch vom Grün-Alternativen Verein zur Unterstützung von Bürgerinitiativen (www.buergerinitiativen.at) unterstützten Verfahren fällt frühestens im Juni.

"Dieser Gerichtsfall ist der erste seiner Art in Österreich", sagt Dr. Helmut Graupner, Rechtsanwalt von Alex Jürgen und Präsident des Rechtskomitees LAMBDA (RKL), "Er ist wegweisend für die Rechte intergeschlechtlicher Menschen".

Der Beschluss des Verfassungsgerichtshofs im Wortlaut
http://www.alexjuergen.at/ 
https://de.wikipedia.org/wiki/Tintenfischalarm 
http://www.graupner.at